Text: Green Economy

4. Grundannahmen und Kritik

7.4. Grundannahmen und Kritik

Die Grundannahmen der Green Economy basieren auf dem Verständnis, dass wirtschaftliche, ökologische und soziale Zielsetzung miteinander in Einklang gebracht werden müssen und können. Die meisten Definitionen der Green Economy veranschaulichen dies durch die Betonung dieser drei Dimensionen. Dabei soll staatlichen Akteuren eine zentrale Rolle zukommen, um mit rechtlichen Rahmen sowie finanziellen Anreizmitteln Entwicklungsprozesse zu steuern. Diese basieren auf folgenden zentralen Elementen:

1. Strategische Wachstumssektoren

Die Finanz- und Klimakrise werden als Möglichkeit angesehen, die Wirtschaftsstruktur durch Identifikation und Förderung strategischer Wachstumssektoren zukunftsfähiger zu gestalten (UNEP, 2012). Schlagwörter wie ›grün‹ und ›kohlenstoffarm‹ oder ›kohlenstoffneutral‹ sind hierbei zentrale Zielsetzungen in Steuerpaketen und anderen finanziellen Strategien. Diese umfassen zum einen Fördermittel und Anreize für neue Wachstumsbranchen bzw. die Transformation bestehender Sektoren, wie zum Beispiel erneuerbare Energien, nachhaltiger Transport und energieeffizientes Bauen (Fastenrath, 2015). Zum anderen geht es um Desinvestition und Ausstieg bzw. die Umstrukturierung von kohlenstoffintensiven Branchen (z.B. Kohle), die durch neue, grüne Unternehmen abgelöst werden sollen. Ein solcher klimafreundlicher Strukturwandel bietet neue Arbeitsplätze und Wachstumspotenzial für innovative Unternehmensfelder und -strukturen, die ein grünes Wirtschaftswachstum ermöglichen (Bowen et al., 2009). Dieser Lösungsansatz ist in den sogenannten Grünen Deals widergespiegelt, die im nächsten Unterkapitel vorgestellt werden.

2. Innovationen

Innovationen und vor allem technologischen Innovationen (s. Kapitel 8) wird in der Transformation des Wirtschaftssystems eine Schlüsselrolle zugeschrieben (eine gute Übersicht bieten Revilla Diez & Breul, 2023). Dabei geht es sowohl um die Steigerung von Energie- und Materialeffizienz als auch um die Ablösung klimaschädlicher Produktionsprozesse, Produkte und Dienstleistungen durch klimafreundliche Alternativen, wie am Beispiel der E-Mobilität zu Beginn des Kapitels illustriert. So ermöglichen neue Technologien im Bereich der alternativen Energiegewinnung eine Umstellung der Energieversorgung von fossilen Brennstoffen auf nachhaltige, in der Regel erneuerbare, Energiequellen wie Solar, Wind und Wasser. Technologien in der Verfahrenstechnik ermöglichen es, Wertstoffkreisläufe im Sinne einer zirkulären Wirtschaft zu schließen (s. Kapitel 6). Neben technologischen Innovationen geht es auch um organisatorische, institutionelle und andere soziale Innovationen, doch stehen neue Technologien eindeutig im Mittelpunkt politischer Maßnahmen (Walker, 2022).

Ein Bereich, der in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten hat, umfasst das Potenzial von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und vor allem die fortschreitende Digitalisierung (Messner et al., 2019). Digitale Technologien werden vermehrt zur Verbesserung und Optimierung von Systemen und Funktionen eingesetzt, die auch als ›intelligente‹ Ansätze (›Smartness‹ bzw. ›Smart‹) bezeichnet werden, da sie die Vernetzungsfähigkeit, den Informationsfluss und Informationsaustausch verbessern und Effizienzen und andere Mehrwerte schaffen können. Dies wird auch im Grünen Deal der EU durch eine sogenannte Duale Transition im Sinne einer Digitalisierung für den Klimaschutz angestrebt. Ein häufiges Argument ist hier auch die verbesserte Partizipation der Öffentlichkeit. Aus geographischer Perspektive sind vor allem Konzepte der Smart Cities von Interesse (Bauriedl & Strüver, 2018; Gibbs et al., 2013; Joss et al., 2019; Lange & Santarius, 2018).

3. Quantifizierung und Metrifizierung

Die Senkung von CO2-Emissionen ist ein zentraler Bestandteil der Green Economy. Um die Erfüllung von Reduktionszielen überprüfen zu können, ist eine Erfassung des Ausstoßes von CO2-Emissionen erforderlich. Dies erfolgt durch die Etablierung von ausgewählten Verfahren zur Messung von CO2-Emissionen (Quantifizierung) sowie die Fokussierung auf messbare Eigenschaften (Metrifizierung). Da die Messung von CO2-Emissionen sehr kompliziert ist und Daten häufig nicht verfügbar sind, wird hier in der Regel mit Schätzwerten, stellvertretenden Variablen und Annäherungswerten gearbeitet (Affolderbach & Schulz, 2017b). So wird die Fahrstrecke des individuellen Autoverkehrs und daran gebundene Emissionen in Deutschland zum Beispiel über Schätzungen basierend auf Daten ermittelt, welche im Rahmen von Kfz-Hauptuntersuchungen erhoben werden. Die Daten können anhand von Fahrzeugart, Fahrzeugalter, Kraftstoffart und Motorleistung weiter aufgegliedert werden, berücksichtigen jedoch nicht alle Variablen, wie Verkehrsfluss und Geschwindigkeit. Quantifizierung und Metrifizierung werden ebenfalls für ökologische und soziale Zielsetzungen umgesetzt, sind dort aber häufig noch schwieriger zu erfassen. Wie lässt sich zum Beispiel Lebensqualität quantitativ messen?

Vermarktlichung

Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht können basierend auf der fortschreitenden Quantifizierung und Metrifizierung ökologische und auch soziale Mehrwerte (und Schäden) monetär erfasst werden. Eine Vermarktlichung (Commodification oder Marketization) beschreibt die Einführung von bisher nicht auf dem Markt gehandelten Gütern und Dienstleistungen, die nun zu monetären Preisen angeboten und nachgefragt werden können (Boeckler & Berndt, 2021). In Bezug auf die Natur kommt es neben traditionell gehandelten Gütern wie Rohstoffen und landwirtschaftlichen und Fischereiprodukten auch zur Wertschätzung von bisher nicht monetär erfassten natürlichen Ressourcen und Leistungen, die durch Ökosysteme oder bestimmte Arten bereitgestellt werden (s. Ökosystemleistungen unten) (Pütz, 2020). Hierzu zählen die luftreinigende Wirkung von Bäumen, Bestäubungsdienste durch Bienen, der Erholungswert von Wäldern und die Kapazität von Auenlandschaften, Wasser aufzunehmen. Belegen wir diese Mehrwerte mit einem Preis, so können diese auf dem Markt gehandelt bzw. in wirtschaftlichen Modellen berücksichtigt (internalisiert) werden. Sollen zum Beispiel im Rahmen von Landerschließungen ökologisch wertvolle Gebiete zerstört werden, so können diese als entstehende Kosten berechnet werden. Im Kampf gegen den Klimawandel spielt unter anderem die Vermarktlichung von Treibhausgasemissionen, also die Bepreisung und der Handel mit Emissionsäquivalenten eine zentrale Rolle.

Begriffserklärung

Umweltökonomie und Ökologische Ökonomie: Auch wenn die Bezeichnungen mitunter verwechselt oder fälschlicherweise synonym verwendet werden, handelt es sich um zwei grundverschieden ausgerichtete Teildisziplinen der Wirtschaftswissenschaften.

In der Umweltökonomie (auch Umweltökonomik) geht es primär darum, den Wert der natürlichen Umwelt bzw. die Kosten für die Behebung oder Vermeidung von Umweltschäden zu quantifizieren und für ökonomische Modelle und Analysen passfähig zu machen (s. Ökosystemleistungen weiter unten zur Bepreisung von Natur). Diesem Bestreben liegt die Annahme zu Grunde, dass es über eine Internalisierung externer (Umwelt-)Kosten gelingen kann, Umweltbelastungen über marktliche Mechanismen (Preiswirkung der Umweltgüter) zu reduzieren. Zur einführenden Lektüre: Cansier (1996); Ringel (2021).

Die Ökologische Ökonomie (auch Ökologische Ökonomik) verfolgt hingegen einen systemischeren Ansatz und lehnt die binäre Trennung der Umweltökonomie in menschliches Wirtschaften einerseits und Natur- und Umwelt (als Ressource) andererseits strikt ab. Stattdessen sieht sie die Wirtschaft als Teilsystem von Gesellschaft, die wiederum in ein globales Ökosystem eingebettet ist (s. Abb. 2.6 in Kapitel 2). Letzteres verfügt über endliche Ressourcen und eine beschränkte Tragfähigkeit, weshalb die Ökologische Ökonomie eine ›stationäre Wirtschaft‹ (Steady State Economy) propagiert, die langfristig nicht mehr Ressourcen verbraucht als natürlich regeneriert werden können. Zur einführenden Lektüre: Costanza (2001); Faber & Manstetten (2019).

Kritik

Die Grundannahmen der Green Economy entsprechen der – um eine soziale Dimension erweiterten – Logik der Ökologischen Modernisierung, die Wachstumspotenziale und Wettbewerbsfähigkeit durch grün und sozial ausgerichtete Steuerungsmechanismen als Lösungsansatz versteht. Grundsätzlich werden somit keine Widersprüche zwischen wirtschaftlichen auf der einen und sozialen und ökologischen Zielen auf der anderen Seite gesehen. Stattdessen befürworten Anhänger einer Green Economy eine Art Strukturwandel hin zu nachhaltigeren Wirtschaftsformen, wobei nachhaltig häufig mit klimafreundlich gleichgesetzt wird. Auch wenn die Kernidee einer Green Economy explizit Gerechtigkeitsaspekte und Soziales miteinschließt, so findet sich ein weites Spektrum an Interpretationen und Umsetzungsansätzen wie auch schon am Beispiel der Ökologischen Modernisierung erläutert (s. Tab. 3.2) (Bailey & Caprotti, 2014). Soziale Gerechtigkeit, Wohlbefinden und Lebensqualität sind zwar rhetorisch Teil einer Green Economy, doch viele Studien zeigen, dass soziale Dimensionen in Entwicklungsstrategien und Anwendungen vernachlässigt oder sogar vollständig vergessen werden (Bailey et al., 2011; Kenis & Lievens, 2015). So besteht die Gefahr, dass der Begriff der Green Economy auf eine diskursive Ebene reduziert wird, die wirtschaftliche Interessen bestimmter Akteursgruppen als grüne Entwicklungsstrategien propagiert (Bailey & Caprotti, 2014). Eine Auswertung von Green Economy Konzept- und Strategiepapieren, die von verschiedenen nationalen und internationalen Organisationen veröffentlicht wurden, zeigt deutlich, dass die propagierten Lösungsansätze im Sinne der Green Economy traditionellen Wirtschaftsverständnissen entsprechen, auf Wirtschaftswachstum, neue Investitionsmöglichkeiten und Innovationen setzen und häufig nur geringfügige systemische Veränderungen vorsehen (Bina, 2013).

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