Text: Green Economy

5. Schwerpunkte und Anwendungsfelder

2.5. Schwerpunkte und Anwendungsfelder

Das Konzept der Green Economy wird auf vielen verschiedenen räumlichen Ebenen in Entwicklungsstrategien, Gesetzgebungen und Vereinbarungen angewandt. Dabei geht es sowohl um die Stärkung bzw. Wiederbelebung der Wirtschaft als auch um daran gekoppelte soziale und ökologische Ziele, die in erster Linie durch die Bekämpfung des Klimawandels geprägt sind. Damit ist es auch ein zentrales Themenfeld für die Wirtschaftsgeographie, die sich unter anderem mit den Innovations- und Wachstumsprozessen klimafreundlicher Branchen und Produktionsprozesse, regionalen Entwicklungs- bzw. Wachstumsstrategien und neuen räumlichen Verflechtungen beschäftigt (Bailey & Caprotti, 2014; Caprotti & Bailey, 2014; Gibbs & O’Neill, 2014a; Jones et al., 2016; Klagge, 2021).

2.5.1. Grüne Deals

Die sogenannten Grünen Deals oder Grünen New Deals sind politische Umsetzungsstrategien, die eine klimafreundliche wirtschaftliche Umstrukturierung propagieren. Viele zentrale internationale Institutionen und Unternehmen reagierten auf die Finanzkrise mit der Entwicklung von Strategien, die bestimmte Sektoren durch spezielle Konjunkturprogramme finanziell fördern sollten (Tab. 7.1). Diese Sektoren werden als strategisch zur Bekämpfung der Umwelt- sowie auch der wirtschaftlichen Krise angesehen. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) sah bzw. sieht die Lösung zu der Klimakrise und der Finanzkrise in einer grünen industriellen Revolution durch gezielte Investitionen in saubere Technologien, nachhaltige Energie, Abfallmanagement, nachhaltige Landwirtschaft, grüne Städte und Ökosystemmanagement (UNEP, 2008a; Simon & Dröge, 2011). Die Deutsche Bank (2008) und HSBC (2009) propagierten ebenfalls ausgesuchte Bereiche für Energieeffizienz, Infrastruktur und Verkehr (Tab. 7.1). Die Listen der verschiedenen Institutionen spiegeln einen gewissen Konsens hinsichtlich der Hauptsektoren und damit Handlungsschwerpunkte der Nachhaltigkeitspolitik wider.

Tabelle 7.1: Strategische Wachstums- bzw. Zukunftssektoren nach Entwicklungskonzepten als Antwort auf die Finanzkrise

UNEP (2008)

Deutsche Bank (2008)

HSBC (2009)

  • Saubere Technologien
  • Erneuerbare Energie
  • Abfallmanagement
  • Nachhaltige Landwirtschaft
  • Grüne Städte
  • Ökosystemmanagement
  • Energieeffiziente Gebäude
  • Elektrisches Stromnetz
  • Erneuerbare Energie
  • Öffentlicher Verkehr
  • CO2-arme Energieproduktion
  • Energieeffizienz/-management
  • Gewässerschutz, Kontrolle der Abfallproduktion und Umweltverschmutzung
  • Finanzierung des Klimaschutzes

Mit dem Abklingen der Finanzkrise in der zweiten Hälfte des Jahres 2009 ließ auch das Interesse an nachhaltigen Anreizmaßnahmen zunächst etwas nach, zunehmende Evidenzen zu den Auswirkungen des Klimawandels unterstreichen jedoch weiterhin dringenden Handlungsbedarf. Viele Länder und Institutionen erkennen nachhaltiges Wirtschaften inzwischen nicht nur als ökologisch notwendig, sondern auch als wirtschaftlich sinnvolle Strategie an, die internationale Wettbewerbsvorteile mit sich bringen kann. Dieses Denken spiegelt sich in nationalen Entwicklungsstrategien wider, häufig unter der Bezeichnung Green (New) Deal. Die Bezeichnung verweist auf den vom damaligen US-Präsident Roosevelt initiierten New Deal, der die Wirtschaft und Gesellschaft der USA durch massive Infrastrukturinvestitionen sowie finanzielle Anreize für Unternehmen aus der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre führen sollte. Ähnlich drastische Maßnahmen scheinen angesichts der aktuellen globalen Krisen geboten, weshalb in den Vereinigten Staaten seit 2018 zunächst vom klimaaktivistischen Sunrise Movement, inzwischen auch von der Demokratischen Partei ein neuer Gesellschaftsvertrag, ein Green New Deal, eingefordert wird (Löhle, 2019). Ende 2019 präsentierte die EU-Kommission ihr Konzept eines Green Deal für die Europäische Union, das in Kapitel 13.2 ausführlicher besprochen wird.

2.5.2. Steuerungsmechanismus: Vermarktlichung durch Emissionshandel

Ein zentraler Anwendungsbereich der Vermarktlichung als Strategie zur Bekämpfung des Klimawandels besteht im Emissionshandel und der Kohlenstoffbepreisung (Knight, 2010; Kama, 2014; Klagge & Reimer, 2016; Umweltbundesamt, 2022). Durch eine Bepreisung von Treibhausgasemissionen von Produktions- und Konsumprozessen sollen negative Auswirkungen als Kosten erfasst und reguliert werden. Hierzu gibt es verschiedene Ansätze.

Zum einen kann das Problem ›upstream‹ oder ›downstream‹, also beim Produzenten oder beim Konsumenten angegangen werden. Ersterer Ansatz ist wesentlich einfacher umzusetzen, da es weniger Produzenten als Konsumenten gibt. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, eine Bepreisung durch Gesetze oder durch den freien Markt zu regulieren. Regulative Maßnahmen umfassen in der Regel die Einführung von Grenzwerten und Limits sowie die Besteuerung von Treibhausgasemissionen bzw. fossilen Brennstoffen. Der Emissionshandel stellt ein Beispiel eines marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismus dar, der auf international anerkannten Emissionsobergrenzen basiert, also auf dem Prinzip des Deckelns und Handelns (Cap and Trade). Die ›Cap‹ bzw. Obergrenze definiert, wie viele Emissionen Kraftanlagen und Unternehmen zusammen ausstoßen dürfen. Um Emissionen ausstoßen zu dürfen, benötigen Unternehmen Emissionszertifikate in entsprechender Höhe. Wenn sie mehr Emissionen ausstoßen als ihnen erlaubt ist, müssen sie dementsprechend zusätzliche Zertifikate von Akteuren erwerben, die das ihnen zugesprochene Kontingent an Treibhausgasemissionen unterschreiten. Der Emissionshandel funktioniert gemäß der Logik, dass Emissionen dort verringert werden, wo dies die geringsten Kosten verursacht. Der Preis für CO2-Emissionen soll auch Investitionen in saubere, kohlenstoffarme Technologien fördern und Anreize für einen klimafreundlichen Strukturwandel schaffen. Aufgrund der bisher gescheiterten internationalen Verhandlungen bleibt die Einführung eines internationalen bzw. globalen Emissionshandelssystem ungewiss.

EU-Emissionshandelssystem

Das 2005 eingeführte EU-Emissionshandelssystem ist das größte weltweit; mehr als Dreiviertel des internationalen Kohlenstoffhandels werden über dieses abgewickelt werden (Umweltbundesamt, 2022). Neben den EU-Mitgliedsstaaten beteiligen sich auch Norwegen, Island und Liechtenstein am EU-Emissionshandelssystem. Weitere nationale Emissionshandelssysteme bestehen bzw. werden zurzeit entwickelt in Kanada, China, Japan, Neuseeland, Südkorea, der Schweiz und den USA.

Die EU schreibt vor, in welchem Zeitraum und Ausmaß Emissionen reduziert werden müssen. Um bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreichen zu können, wird die Grenze an erlaubten Emissionen schrittweise reduziert (s. Abb. 7.2). Entsprechend stehen im Verlauf der Zeit immer weniger Emissionsberechtigungen für den Handel zur Verfügung. Sinkt die Nachfrage nicht entsprechend, erhöht sich der Preis der Lizenzen.

Abb. 2.22.2Gesamt-Cap und -Emissionen im Europäischen Emissionshandel
Säulendiagramm der Emissionen und des vorgeschriebenen CAPs 2008-2020. Beide sinken mit fortlaufender Zeit.
Eigene Darstellung, leicht verändert nach Umweltbundesamt (2022).

Das EU-Emissionshandelssystem bietet deutliche finanzielle Anreize, allerdings wird von Kritikern bemängelt, dass es nicht die erwarteten Reduktionen von CO2-Emissionen erbringt. Vor allem in den ersten beiden Handelsperioden bis 2017 galt das System als wirkungsarm, da es in den Anfangsjahren zu einer Überzuteilung kostenloser Zertifikate kam, und zudem besonders emissionsstarke Branchen, wie die Aluminiumindustrie oder Teile der chemischen Industrie, bis 2013 ausgeklammert blieben. Die EU ermittelte in der dritten Handelsperiode für das Jahr 2020 einen Emissionsrückgang von 12 % gegenüber dem Vorjahr (s. Abb. 7.3). Der Rückgang wird vor allem durch die Umstellung der Stromerzeugung erwirkt, wohingegen Emissionen durch Industrieanlagen kaum Einsparungen zeigen. Befürworter von Carbon Offset Märkten geben zu, dass die Umsetzung und eine daran gebundene Reduzierung von CO2-Emissionen schwierig ist. Noch schwieriger ist es, soziale und ökologische Vorteile zu erzielen.

Abb. 2.32.3Entwicklung der Emissionszertifikate von 2005 bis 2020 in der EU und Deutschland
Liniendiagramm zur Entwicklung der Emissionszertifikate in Deutschland und der EU 2005 bis 2020. Der generelle Trend geht bei beiden nach unten.
Eigene Darstellung, verändert nach Umweltbundesamt (2022).
Carbon Offsetting

Der Ansatz der Vermarktlichung und vor allem der Emissionshandel wurden entsprechend vielseitig kritisiert. Der Kohlenstoffmarkt konstruiert ein Produkt, das handelbar ist: Kohlenstoffdioxidäquivalente für den Schaden, der durch Treibhausgasemissionen entsteht und der international in US-Dollar gemessen wird. Es ist auch möglich, internationale Gutschriften aus emissionsmindernden Projekten weltweit zu kaufen. Dies wird auch als Carbon Offsetting bezeichnet. Es besteht aus Ausgleichszahlungen, die häufig in Projekte für Kohlenstoffsenkung bzw. -speicher (z.B. Aufforstungsmaßnahmen) fließen, die vom eigentlichen Emissionsort ungebunden sind (Klagge & Reimer, 2016). Offsetting ist auch für Privatpersonen möglich, die zum Beispiel durch Flugreisen entstehende Emissionen ausgleichen möchten. Kritiker argumentieren, dass Offsets eine Auseinandersetzung mit anderen Formen der CO2-Emissionsminderung verhindern und vor allem reichen Ländern, Personen und Unternehmen ermöglichen, sich von ihrer Verantwortung freizukaufen. Nicht zuletzt die jüngeren Enthüllungen um das Unternehmen VERRA, einen der weltweit führenden Anbieter von ›Klimazertifikaten‹, haben gezeigt, dass die tatsächliche Wirksamkeit der Klimaschutzmaßnahmen bezweifelt werden muss (Greenfield, 2023).

Durch die räumliche Entkopplung der Orte des Emissionsausstoßes und des Offsettings können Letztere in ärmeren Ländern kosteneffizienter umgesetzt werden. Dadurch besteht die Gefahr, globale Ungleichheiten zu verstärken und neue Abhängigkeiten zu schaffen (McAfee, 2016; Rudolph, 2022). Was gemessen wird und wie die Äquivalenzwerte bestimmt werden, sind letztendlich politische Entscheidungen, die bestimmte Regionen und Räume sowie Aktivitäten über andere stellen. Diese Quantifizierung reflektiert keine kulturell-spezifischen Unterschiede und kann auch nicht erfassen, wie sich Leistungen und Werte mit der Zeit ändern könnten.

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