Text: Umweltgerechtigkeit
2. Der Konflikt um die Giftmülldeponie in Warren County, USA
5.3. Der Konflikt um die Giftmülldeponie in Warren County, USA
Einer der ersten Fälle, mit dem die Entstehung der Umweltgerechtigkeitsbewegung in Zusammenhang gebracht wird, ist der Konflikt um die Einrichtung einer Sondermülldeponie im Warren County in North Carolina, USA (McGurty, 2009). Ende der 1970er Jahre wurden illegal mehr als 30.000 Gallonen (umgerechnet ungefähr 115.000 Liter) industrieller Abfälle entlang eines 243 Meilen langen Autobahnabschnittes in North Carolina entsorgt, welche hochgradig toxische polychlorierte Biphenyle (PCB) enthielten (McGurty, 1997). PCB sind giftige, krebsauslösende chlororganische Verbindungen, die zu der Zeit unter anderem in Transformatoren, als Hydraulikflüssigkeiten in entsprechenden Anlagen sowie als Weichmacher (z.B. in Kunststoffen) verwendet wurden. Dies stellte die Behörden vor die Aufgabe, den Sondermüll den Sicherheits- und Umweltvorgaben entsprechend zu entsorgen. Aufgrund der großen Menge mit PCBs verunreinigter Böden und der relativ großen Entfernung zu bereits bestehenden Mülldeponien entschied sich der US-Staat dafür, eine neue Deponie für den Sondermüll einzurichten. Als Standort für die neue Mülldeponie wurde eine 57 Hektar große Fläche östlich der kleinen Kommune Afton im Warren County ausgewählt (s. Abb. 5.2).
Dort sollten die 60.000 Tonnen kontaminierten Bodens nach Richtlinien der nationalen Umweltschutzbehörde endgelagert werden. Für die Errichtung der Sondermülldeponie erlies die US-amerikanische Umweltbehörde Vorschriften, um die Ablagerung an dem ausgesuchten Standort zu ermöglichen. So musste die Deponie nicht den Sicherheitsabstand von 15 Metern zum Grundwasser einhalten und brauchte keine künstlichen Schutzlagen sowie kein Auffangsystem für Deponiesickerwasser.
Entsprechend wenig überraschend war der Widerstand der lokalen Bevölkerung der Gemeinde Aftons, die zu diesem Zeitpunkt ungefähr 1300 Einwohner zählte. Proteste von Anwohnerinnen gegen Mülldeponien, Verbrennungsanlagen, Autobahnen, Gefängnisse, Industrieanlagen oder andere ungewollte Landnutzungen in ihrer unmittelbaren Nähe tauchen immer wieder in den Medien auf (s. Abb. 5.3). Widerstand gegen als negativ wahrgenommene Landnutzungen in unmittelbarer Nähe des eigenen Wohnorts wird oft auch als NIMBYismus bezeichnet (s. Kapitel 15). NIMBYismus leitet sich aus dem Englischen ab und steht für ›Not In My Backyard‹, was in etwa der deutschen Redewendung ›nicht vor meiner Haustür‹ entspricht. Widerstand bei dieser Form des Protests richtet sich nicht gegen die Entwicklung an sich, sondern gegen den spezifischen Standort und die daraus resultierende geographische Nähe zum eigenen Lebensumfeld (Devine-Wright, 2013) (s. Kapitel 15). So sind Gegner einer Mülldeponie nicht zwangsläufig gegen die bestehende Abfallpolitik, sondern gegen mögliche negative Auswirkungen auf ihr unmittelbares Lebensumfeld.
Der Widerstand in Afton unterschied sich jedoch von NIMBYismus dadurch, dass die lokale Bevölkerung davon überzeugt war, dass der Standort aufgrund der sozialen und ethnischen Merkmale der Gemeinde von den Entscheidungsträgerinnen (u.a. staatliche Akteure) gezielt ausgesucht worden war (McGurty, 1997). Über zwei Drittel der Einwohner Aftons waren Afroamerikaner und 20 % der Bevölkerung lebten unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Damit stellt das Beispiel einen von vielen Fällen einer gezielten Diskriminierung benachteiligter Bevölkerungsgruppen dar, welche durch staatliche Behörden sanktioniert wurde. Die Gemeinde Afton erhielt Unterstützung von Menschenrechtsgruppen in den USA und es kam zu Klagen, Gerichtsprozessen und wissenschaftlichen Studien (McGurty, 2009). Im Jahr 1982 kam es schließlich zu einem Kompromiss. Das Ergebnis des Widerstandes war, dass die Sondermülldeponie nur unter zusätzlichen Auflagen umgesetzt werden durfte, die allerdings, wie spätere Studien zeigten, nicht alle eingehalten wurden.